Narrenzunft Stegstrecker Pfullendorf

Aus der Geschichte

Fasnacht feiert man in Pfullendorf seit Jahrhunderten. Was dabei Bestand hat: die ständige Veränderung.

Wer heutzutage über die Pfullendorfer Fasnet spricht, erzählt vom Narrenbaumstellen, von den Hemdglonkerumzügen, dem Schnellen und dem Verbrennen der Strohhexe am Fasnachtsdienstag. Diese Traditionen gibt es seit Jahrzehnten. Jüngere Narren könnten meinen, die Fasnacht in ihrem „Städtle“ sei schon immer so gewesen wie heute. Doch weit gefehlt: In früheren Jahren trat in Pfullendorf auch schon Prinz Karneval auf. Dass einmal als Hexen verkleidete Männer durch die Straßen springen werden, hat zu Prinz Karnevals Zeiten noch niemand geahnt.

Ein Foto aus der Zeit zwischen den Weltkriegen, aufgenommen Anfang der 1920er Jahre: Der Narrenrat der Narhalla mit den Narreneltern, Schnellern und Hänsele. Foto: Archiv Narrenzunft

Die ersten Belege, dass in Pfullendorf in den Tagen vor dem Beginn der Fastenzeit nochmal kräftig gefeiert, gezecht und gegessen wurde, sind mehrere hundert Jahre alt. So ist in den Aufzeichnungen des städtischen Spitals vermerkt, dass 1713/14 zur Fasnacht 6 1/4 Quart Wein zum „Fasnachtsküechli“ an den städtischen Magistrat abgegeben wurde. Noch früher, in der Spitalrechnung für die Jahre 1597/98 ist vermerkt, dass das Spital offenbar Lebensmittel für ein größeres Essen am „unsynnigen Donnerstag“ eingekauft hat – unter anderem Senf und ringförmiges Gebäck. Am Fasnachts-Dienstag 1710 erhielt der Magistrat vom Spital – das damals noch seinen Sitz dort hatte, wo sich später die Wirtschaft „Deutscher Kaiser“ befand – 11 1/4 Quart Spitalwein, was rund 33 Litern entspricht. Auch diverse alte Ratsprotokolle berichten von fasnachtlichem Treiben in Pfullendorf.

Johann Schupp hat sie im Buch „Denkwürdigkeiten der Stadt Pfullendorf“ erwähnt. So wurde geregelt, dass an der Fasnacht 1716 bis um neun Uhr abends getanzt werden durfte, an den letzten drei Fasnachtstagen sogar darüber hinaus. Auch ein „Fasnachtsspiel“ war erlaubt, „Maskerade“ allerdings verboten. Die Lust am Verkleiden blieb aber offenbar bestehen, denn immer wieder ist in den folgenden Jahrzehnten das Maskieren ein Thema und wird teils auch verboten. Im Jahr 1792 etwa warnte Bürger- meister Probst vor dem „immer mehr überhand nehmenden Maskieren und dem damit verbundenen Unfug mit Unsittlichkeit“.

Die Narreneltern Heinz Kühnlenz und Peter Matuschewitz im Jahr 1987. Foto: Archiv Narrenzunft

Eine organisierte Fasnacht gibt es in Pfullendorf nachweislich seit dem Jahr 1856. Nach mehreren Jahrzehnten, in denen es der Überlieferung zufolge eher still geworden war um die Fasnacht, gründete der Malermeister Johann Nepomuk Lang damals eine „Narren- und Maskengesellschaft“. Er legte auch den Grundstein für die Tradition der Fasnachtsspiele, die danach länger gepflegt wurde. Am 4. Februar 1856 wurde „Wallensteins Lager“ aufgeführt. 1895 übernahm der Medizinalrat Dr. Josef Schreck den Vorsitz. Er gründete die Gesellschaft als Verein neu, sie erhielt den Namen „Narrhalla“. In diesem Jahr wurde ein den Berichten nach monumentales Fasnachtsspiel aufgeführt. Der Titel lautete: „Prinz Karneval besucht die ehemalige freie Reichsstadt Pfullendorf mit dem Riesenzirkus Wei-Hei-Wei und Hagenbecks Menagerie“. Im selben Jahr erschien in Pfullendorf auch erstmals eine Narrenzeitung. Und es muss auch einen Narrenpolizisten gegeben haben. Zumindest wurde bei einem späteren Jubiläum das Jahr 1895 als Geburtsjahr der „Narrenbolizei“ genannt.

Mit seinem Vorgänger Nepomuk Lang als Narrenvater und der Narrenmutter in Person des Löwenwirts Roßknecht hatte Josef Schreck verlässliche Mitstreiter. Sie zogen Jahr für Jahr eine Fasnet großen Stils auf. 1897 landete „Prinz Karneval“ sogar mit dem Fesselballon, um eine große Narrenrevue abzunehmen. Dann gab es finanzielle Engpässe und der Schwung ließ nach. Allerdings wurde Jahr für Jahr am Narrenbaumsetzen festgehalten. Mit dem Malermeister August Heinzle übernahm im Jahr 1906 ein Rednertalent und begabter Laienschauspieler den Vorsitz der Narrhalla. Er führte den Verein über 50 Jahre. Die beiden Weltkriege und wirtschaftliche Krisenjahre sorgten aber auch dafür, dass die Fasnet zwischendurch zum Erliegen kam. Im Jahr 1928 gab es ein Fasnetsspiel, von dem viele alte Pfullendorfer noch Jahrzehnte später schwärmten. Es hatte den Titel „Einzug der Schweden unter Generalfeldmarschall Horn“. 1935 wurde erstmals das Stegstreckerspiel aufgeführt. Nachgespielt wird dabei die Legende, wonach die Pfullendorfer einst versucht haben sollen, einen Steg über den Andelsbach, der zu kurz geraten war, mit der Hilfe von Ochsen zu strecken. Das Spiel wird seither zu besonderen Anlässen aufgeführt.

Ein frühes Foto der 1947 gegründeten Hexengruppe. Foto: Archiv Narrenzunft

Während des Zweiten Weltkriegs erstarb das Brauchtum. Doch nach dem Krieg lebte die Fasnacht neu auf. 1947 zeigte sich zum ersten Mal die Hexengruppe. Ein Neuanfang wurde dann auch im Jahr 1948 mit der Bildung eines Narrenrats gemacht. Seither gibt es den Namen „Narrenzunft Stegstrecker“. Noch bis 1957 wirkte August Heinzle mit, dann trat er aus gesundheitlichen Gründen mit 83 Jahren ab. Ihm folgten in einer Interimszeit mehrere Zunftmeister. 1959 war es das Pfullendorfer Original, der Bäckermeister Hermann Eisele, der die Regentschaft übernahm. Unter seiner Ägide wurde das Zunfthaus in der Pfarrhofgasse gebaut und am 11. November 1960 eingeweiht. 1961 wurde dann Paul Kerle neuer Zunftmeister und hielt 20 Jahre das Zepter der Pfullendorfer Narren in der Hand. Höhepunkt in dieser Zeit waren im Jahr 1964 ein großes Treffen der historischen Zünfte Markdorf, Meersburg, Meßkirch, Radolfzell, Stockach und Überlingen in Pfullendorf sowie der Einzug von Kaiser Josef II. mit großem Gefolge in Pfullendorf im Jahr 1972.

Im Jahr 1976 gründeten dann mehrere Frauen die Nidlergruppe – auch eine Antwort auf die reinen Männergruppen der Hexen und zu diesem Zeitpunkt auch noch der Schneller. Inzwischen gibt es auch Frauen in den Reihen der Schneller. Pompös gefeiert wurde 1978 die Hochzeit der Narreneltern Otto Ritter und Heinz Kühnlenz. Letzterer blieb – später mit neuen Männern an seiner Seite – noch bis zum Jahr 2012 Narrenmutter.

Im Jahr 1981 übernahm Heinz Bosch das Amt des Zunftmeisters, 1985 wurde Elmar Vogler sein Nachfolger. Er wurde am 3. Januar 1994 durch einen Herzinfarkt aus der Mitte der Narren gerissen. Bis 1995 wurde das Amt des Zunftmeisters durch seinen Stellvertreter, Karl Fehrenbach, wahrgenommen. Dann übernahm Fehrenbach offiziell das Amt des Zunftmeisters. In diese Zeit fällt die Aufführung des Stegstreckerspiels bei der 775-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 1995, die Gründung einer neuen Gruppe, der Schaalweiber, im Jahr 1998 und das Landschaftstreffen der Landschaft Bodensee-Linzgau-Schweiz im Jahr 2003. Bis 1998 waren auch die Trachten eine Gruppe der Zunft, dann machten sie sich selbstständig und sind nun ein eigener Verein. Von 2012 bis 2015 war dann Michael Seelmann-Eggebert Zunftmeister. Auf ihn folgte Andreas Narr, der bis heute die Narren anführt.