Wer knallt am besten?
Der Wettstreit hatte 2003 in Pfullendorf seine Premiere – und findet jetzt wieder hier statt. Kein Wunder, in einer echten Schneller-Hochburg.
Die Idee entstand, wie es oft bei guten Ideen der Fall ist, in einer Wirtschaft. Einige Mitglieder der Schnellergilde saßen zusammen, sie redeten über die vielen Varianten des Schnellens mit einer Karbatsche oder „Goißl“, wie die Peitsche etwa in Tirol genannt wird. Es ging hin und her. Und so wurde dann der Gedanke geboren, zum Landschaftstreffen im Jahr 2003 in Pfullendorf eine Schneller-Weltmeisterschaft zu veranstalten. So erzählt es Andreas Narr, Schneller und Zunftmeister der Stegstrecker. Die Schneller-WM hat sich etabliert, sie wurde schon an verschiedenen Orten ausgerichtet, etwa in Weingarten oder in Villingen-Schwenningen. Die Teilnehmer kommen auch aus Österreich, der Schweiz, Italien. Nun kehrt der Wettstreit wieder zurück an den Ort, an dem er ins Leben gerufen wurde. Zum Narrentreffen der Landschaft Bodensee-Linzgau-Schweiz am 1. und Februar 2020 werden die Schneller wieder eine WM veranstalten.
Dass der internationale Wettstreit ausgerechnet in Pfullendorf erdacht wurde, liegt auf der Hand. Die Stadt ist eine der Hochburgen des Schnellens. In der Geschichte der Zunft werden die Schneller schon Mitte des 19. Jahrhunderts erwähnt, sie gelten damit als die älteste Gruppe. Belege, dass in Pfullendorf speziell zur Fasnacht geschnellt wurde, gibt es aber auch schon deutlich früher. Im Jahr 1794 etwa beschwert sich Pfarrer Franz Josef Maichle beim Stadtrat über Auswüchse an der Fasnacht. Daraufhin wurde für die kommende Fasnacht das „Maskieren, Verkleiden, Schnellen und lärmender Unfug“ verboten. Das Verbot hatte nur eine begrenzte Wirkung. Das ist heute, über 200 Jahre später, während der Fasnacht in der Stadt nicht zu überhören. Die Zeit der Schneller beginnt am Dreikönigstag mit dem Einschnellen um 12 Uhr. Und sie endet am Fasnacht-Dienstag um Mitternacht – wenn die Schneller auf dem Markplatz noch einmal ihre letzten Kräfte aufbieten.
Die Karbatsche ist an der Fasnacht vor allem im Linzgau, im Hegau und im Bodenseeraum verbreitet. Meist wird sie von einer Hänsele-Figur geschwungen. Etwa in Markdorf, Weingarten, Meersburg oder Überlingen. Zwar gibt es in Pfullendorf auch seit über 100 Jahren Hänsele, und nicht wenige können auch mit der Karbatsche umgehen, aber ganz offiziell ist für das Schnellen eine eigene Gilde zuständig. Der Schneller trägt einen blauen Fuhrmannskittel. Das passt auch zur Herkunft der Karbatsche, eine ursprünglich aus Lederriemen und heute meist aus Hanf geflochtene Peitsche. Sie wurde im ländlichen Raum zum Viehtrieb eingesetzt.
In Pfullendorf erzählt man sich, dass die Schwabenkinder die Kunst des Schnellens mit in die Stadt brachten. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert zogen Bergbauernkinder aus Vorarlberg, Tirol und der Schweiz vor allem nach Oberschwaben, um dort zu arbeiten. Auch in Pfullendorf wurden die Kinder als billige Arbeitskräfte vermittelt. Lange waren in der Schnellergilde übrigens nur Männer aktiv. Isabel Hardt, die schon als kleines Mädchen mit Begeisterung schnellte, war vor fünf Jahren die erste Frau, die aufgenommen wurde.
Viel länger als die Schneller-WM gibt es das Preisschnellen, das seit 1926 am Fasnacht-Dienstag auf dem Marktplatz ausgetragen wird. Schnellen können in der Stadt viele. Und damit es auch so bleibt, bietet die Gilde vor der Fasnet regelmäßig ein Training an. Auf einem Schulhof wird dann geübt, bis die Technik sitzt. Im Umgang mit der Karbatsche braucht es nicht in erster Linie Kraft, sondern vor allem die richtige Technik. Ein schöner, satter Knall entsteht, wenn der dünne Bändel aus Fallschirmseide am Ende der Peitsche die Schallmauer durchbricht. Der Schneller Thomas Spähler hat nicht nur Pfullendorfer Kindern das Schnellen beigebracht, sondern auch Balletttänzern in Norwegen. In einem Stück des dortigen Nationalballetts, das 2020 Premiere feiern soll, werden mehrere Tänzer mit Karbatschen knallen. Es war eine Idee der Choreografin, die einmal einen Auftritt von Schnellern erlebt hatte. Über den Stockacher Seilermeister Bernhard Muffler kam der Kontakt zustande. Er lieferte die Karbatschen nach Oslo und vermittelte dem Theater auch den Pfullendorfer als Trainer. Der reiste nach Norwegen und übte dort mit fünf Tänzern.
Viele der mehr als drei Meter langen Peitschen mit kurzem Holzgriff werden heute vom Stockacher Bernhard Muffler hergestellt. Seiler gibt es nicht mehr viele. Bis 1998 bezogen die Pfullendorfer Schneller ihre Karbatschen noch vom Pfullendorfer Seilermeister Paul Waldschütz. Heute gibt es keine Karbatschen mehr, die ausschließlich „made in Pfullendorf“ sind. Auch die Schnellergilde bezieht sie jetzt bei Bernhard Muffler. Manche kaufen aber nur die Hanfseile und flechten die Karbatsche dann noch selbst.
Bei der Schneller-WM 2020 wird man auch andere Peitschen zu sehen bekommen. Die „Goaßln“ in Tirol haben teils einen deutlich längeren Griff und ein kürzeres Seil. Mit den „Goaßlschnöllern“ aus Laas in Südtirol pflegen die Pfullendorfer inzwischen eine langjährige Freundschaft. Die Schneller fahren regelmäßig nach Laas, umgekehrt besuchen die Südtiroler auch gerne die Pfullendorfer Fasnacht. Aus Südtirol kommen auch zur Schneller-WM jetzt wieder Teilnehmer. Und wer weiß, vielleicht nehmen eines Tages ja auch die Osloer Balletttänzer am Wettstreit teil. Jörg Heinzle